Digitale Justiz im Familienrecht
Das Projekt untersucht die Praktiken und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umstellung auf die digitale Justiz im Familienrecht während der Coronapandemie in der Schweiz. Der Fokus liegt auf Trennungen und Scheidungen.
Projektbeschrieb
Die Auswirkungen der Pandemie waren im Familienrecht gravierend, da es in vielen Familien akute Krisen gab. Vor allem Paare mit Kindern, die sich trennten oder scheiden liessen, waren in materieller und emotionaler Hinsicht stärker gefährdet. Das wirkte sich negativ, aber unterschiedlich auf Mütter, Väter und Kinder aus.
Die Umstellung auf die digitale Justiz in Zivilverfahren ermöglichte es, dringende Fälle zu bearbeiten und Verzögerungen zu mindern. Das verhinderte zusätzliche Verschlechterungen von Familiensituation. Richter:innen und Anwält:innen mussten ihre Verfahren rasch anpassen, um für alle Parteien akzeptable Lösungen zu finden. Dieser Wandel birgt allerdings auch die Gefahr, dass der Zugang zur Justiz für schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen erschwert wird.
Hintergrund
Die Pandemie begünstigte die Umstellung auf die digitale Justiz. Diese Tendenz ist aber Teil eines längerfristigen Wandels des Justizsystems und der Gesellschaft. Um Verzögerungen zu vermeiden und dringende Fälle rasch zu behandeln, ermöglichte der Schweizerische Bundesrat Fernanhörungen in Zivilverfahren (SR 272.81). Die digitale Justiz bietet zwar Vorteile (z.B. Schnelligkeit, Kostensenkung), wirft aber auch praktische und ethische Bedenken auf (z.B. Technologie, Vertraulichkeit).
Ziel
Ziel ist es, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen digitale Verfahren den Zugang zum Recht für Paare mit minderjährigen Kindern in Trennung oder Scheidung während einer grossen Krise wie der Pandemie garantieren und das Risiko geschlechtsspezifischer und sozialer Ungleichheiten mindern können. Der Schwerpunkt liegt auf Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang zum Recht, dem Besuchsrecht für Kinder, dem physischen Sorgerecht sowie den Unterhaltszahlungen an Kinder und Ex-Ehepartner.
Bedeutung
Das Projekt leistet einen Beitrag zur Erforschung des digitalen Familienrechts. Schwerpunkte sind Faktoren, die den Zugang zum Recht in Krisenzeiten verbessern bzw. behindern sowie potenzielle geschlechtsspezifische und soziale Ungleichheiten. Es wird den Lernprozess aufzeigen, dem Fachleute angesichts der Entwicklung hin zur digitalisierten Justiz gegenüberstehen. Auf rechtssoziologischer Ebene wird institutionelles «Doing Gender» in der Rechtspraxis in Krisenzeiten untersucht.
Anwendung
Das Projekt wird mittels eines juristischen Gutachtens Änderungen in der schweizerischen Zivilprozessordnung vorschlagen, um einen fairen Zugang zur digitalen Justiz im Familienrecht zu gewährleisten. Für Fachleute wird es Weiterbildungsmodule zum Thema Digitalisierung des Familienrechts entwickeln. Schliesslich wird es die Risiken der digitalen Justiz für soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheiten aufzeigen.
Originaltitel
Die Praxis des Familienrechts während der COVID-19-Pandemie: Digitale Justiz und geschlechtsspezifische Ungleichheiten
Publikationen
Die Publikationen des Projektes finden Sie im SNF-Datenportal.